Frühmittelalterliche Jeans

  • Frühmittelalterliche Jeans

    Anspruch: A (Aprilis prima)

    Material: 2/2-Baumwollköper mit Indigofärbung (von usbekischen Nonnen unter Wasser mundgeklöppelt), Knöpfe aus Eisen, Nieten aus Bronze

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    Ich weiß, ich weiß… die meisten von Euch werden sich erst einmal fragen, ob ich mit dieser Rekonstruktion total einen an der Murmel habe. Lasst mich deswegen zunächst ein paar theoretische Überlegungen zusammen tragen:

    1. Hosen als solche sind durch Funde hinlänglich belegt. Thorsberghose, Damendorf, Skjoldehamn. Bereits hier finden sich ausreichende Variationen der Schnittmuster, so dass auch ein heutiger Jeans-Schnitt als kreativer Exzess durchaus möglich scheint.
    2. Baumwolle als Grundmaterial war bekannt und verfügbar. Bei der byzantinischen Warägergarde (die nachweislich zum großen Teil aus skandinavischen Wikingern gestellt wurde) bestand ein Teil der Rüstung (der Bambakion) aus Baumwolle. Also kann man schon mal annehmen, dass Heimkehrer diese als Wissen oder als Rohmaterial mit in die Heimat brachten.
    3. Diagonalköper als Bindung des Stoffs ist durchgängig belegbar und hat sich bis heute beibehalten.
    4. Indigo als Farbstoff wurde in den östlichen Regionen ausgiebig genutzt. Somit erscheint es völlig schlüssig, dass findige Färber auch Baumwolle und Indigo fröhlich kombinierten. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, lässt sich mit dem hinlänglich belegten und beliebten Waid ein herrlicher Stonewashed-Look erzielen, der das modische Verständnis der Frühmittelalterlichen Menschen in ein völlig neues Licht rückt.
    5. Selbst die Taschen der Jeans lassen sich theoretisch gut herleiten. Man denke hier nur an Fragment H55 A aus dem Hafen von Haithabu. Der Übertrag einer Tunika-Tasche auf eine Hose darf mit Fug und Recht als eine Glanzleistung damaliger Schneiderkunst angesehen werden, und dürfte ihrer Zeit weit voraus gewesen sein.
    6. Für die Knöpfe der Jeans lassen sich alleine in Birka dutzende Nachweise finden. Auch wenn hier die meisten Exemplare aus Bronze gegossen waren, lassen sich angesichts des damaligen handwerklichen Geschicks ebenso solche aus anderen Metallen denken. Als Referenz für die Nutzung von Knöpfen an Hosen verweise ich gerne auf den Unterhosenfund aus Moscevaja Balka, bei dem sich ebenfalls bereits ein Knopf zum Verschluss findet.
    7. Eine Stabilisierung der Nahtverbindungen mittels Nieten erscheint durchaus modern. Jedoch ist dieses Prinzip der Niete mit rückseitig angesetzter Konterscheibe bereits bei den Messerscheiden der damaligen Zeit zu beobachten. Es erscheint - besonders angesichts der ausgiebigen und langwährenden Nutzung damaliger Textilien - durchaus logisch, dass dieses Verfahren auch auf Hosen angewendet wurde.
    8. Selbst in den zeitgenössischen ikonografischen Darstellungen ist die Jeans mehrfach vertreten. In diversen Psaltern sind Männer in enganliegender blauer Beinbekleidung zu sehen, die als nichts anderes als eine Röhrenjeans gedeutet werden können. Auch hier zeigt die damalige Mode klare Parallelen zur Neuzeit, und unterstreicht den hoch entwickelten Kleidungsstil der oftmals fälschlich als ungehobelte Barbaren verunglimpften Nordmänner.

    Soweit die Theorie.

    Kommen wir nun zu den Fakten.

    • Das Altnordische kennt den Begriff der '(Blá) önd súrsæt', der '(blauen) Baumwollenen Beinkleider'.
    • In der Gallastríðið-Saga heißt es: "Gallíu er skipt í þrjá hluta, annar þeirra er byggður af Belgum, hinn af Aquitans og sá þriðji af þeim sem kallaðir eru Keltar á sínu tungumáli, á okkar Gallíu." Sinngemäß also: "Und bevor er das Haus verließ legte Gollum der Prächtige die Baumwollenen Beinkleider der hart arbeitenden Handwerker an, auf dass er künftig als einer von ihnen gelte."
    • Im 'MS Cotton de Nimes' (datiert in die Mitte des 10. Jahrhunderts) findet sich die Darstellung eines Mannes in blauen Hosen, der von zwei anderen getragen wird. Unter seiner hoch gerutschten Tunika erkennt man am Gesäß eine aufgesetzte Tasche in exakt der Form und Größe, wie sie sich auch bei heutigen Five-Pocket-Jeans verwendet wird. (Bild 1)Jeans im Psalter_1-1.jpg
    • Bei den Archäologischen Grabungen im Hafenbereich von Birka wurde u.a. Textilfragment W34/L32 gefunden. Ein 2/2-Baumwollköper mit Resten einer Indigofärbung. Hier ist noch eine doppelte Naht erkennbar, die von einer Bronze-Niete verstärkt wird. Direkt daneben ist ein rundes Loch mit sauberen Kanten, in das eine zweite Niete passen würde. (Bild 2)Jeans-Fragment_2-1.jpg
    • Im Hortfund von Buttenheim liegt zwischen zahlreichem Hacksilber ein unscheinbarer, aber sehr interessanter Anhänger. Ein Anlaf Guthfrithsson-Penny, eine Münze aus dem 10. Jahrhundert, die erst zu einem Knopf mit langem Schaft (wie bei rezenten Jeans) umgearbeitet worden war, und später mittels einer angenieteten Öse als Anhänger diente. (Bild 3) Jeansknopf Anhänger_3-1.jpg
    • Einen letzten Hinweis bieten die Arbeiten des schwedischen Archäologen Löb Strauß, die er unter dem Titel “Effekten av jordnötssmör på jordrotationen” veröffentlichte. Hier beschreibt er einen nahezu perfekt erhaltenen Hosenfund mit allen Merkmalen heutiger Jeans, der 1834 im Moor bei Riga von Jākobs Jufess gefunden und auf die späte Eisenzeit datiert wurde (Bild 4) Buch Jeans_4a-1.jpg

    Aufgrund aller dieser Einzelbelege ist die von mir rekonstruierte Jeans also mitnichten ein neues und unbekanntes Kleidungsstück. Stattdessen verdichten sich die Fakten bereits von selbst zu einer zwingenden Kausalität.

    Denn bei allem Respekt unseren Urahnen gegenüber - die waren ja nicht doof damals.

    Ich möchte schließen mit einem Zitat meines großen Vorbilds Harald Blauzahn: "Glaube nichts, was Du im Internet findest, es sei denn, Du hast es selbst gefälscht."

    /Satire Off, und habt noch einen schönen ersten April :)

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