So regional wie möglich … konzentrische Recherche

  • Ein paar Gedanke von mir, zum Thema Recherche.

    Die 3 Fragen am Anfang einer Darstellung sind:

    Wen möchte ich darstellen? Welche Zeit möchte ich darstellen? Welche Region möchte ich darstellen?

    Wenn das geklärt ist, folgt die Recherche. Denn alle Gegenstände sollen ja belegbar sein. Was im Umkehrschluss heißt, alle Gegenstände, die dieses Kriterium nicht erfüllen, fallen weg.

    Als Belege gelten Funde, Abbildungen und Beschreibung (Quellenkritik beachten).

    Ich mache für alles eine konzentrische Recherche:

    Regional,

    überregional im Wirtschaftsraum,

    überregional in angrenzenden Wirtschaftsräumen

    international.

    Je alltäglicher, desto regionaler. Kochtöpfe zum Beispiel sind meist aus lokaler Produktion, wohin gegen repräsentative Stücke einen größeren Verbreitungsgrad haben. Ich gehen folgendermaßen vor: Kann ich etwas regional nicht belegen, prüfte ich zuerst die Beleglage im direkten Wirtschaftsraum (welche Regionen waren wirtschaftlich, politisch oder kulturelle verbunden). Fehlen Belege für einen Gegenstand, dann können es auch überregionale und internationale Quellen sein.

    Immer gilt aber, dass ein Gegenstand sinnvoll in meine eigene Darstellung passt. Je ausgefallener/modischer ein Kleidungsstück, desto höher müsste die Darstellung angesiedelt sein und Mode ist zunächst den Jungen vorbehalten. Je älter ich werde, desto konservativer muss es sein.

    Ich bin der Meinung, dass für die quellenbasierte Darstellung vage Spekulationen über Handelsbeziehungen und Verbreitung und „die damals waren nicht blöd und Zeit hatten sie auch“ keine Rekonstruktionsgrundlage sind. Egal ob

    • ich die Keramik aus Konstanz einfach hübsch finde und die aus der eigenen Region so häßlich ist oder will Pingsdorfer Ware von so vielen Töpfern hergestellt wird und man sie von der Stange weg kaufen kann,
    • der Schuhtyp, der 30 Jahre später oder der Stoff, der mit indigo gefärbt ist – aber das für meine Zeit noch gar nicht üblich ist – so toll sind oder
    • das Kleid der jungen Adligen in diesem französischen Psalter einfach gut ausschaut, aber es weder der finanziellen Kaufkraft und schon gar nicht dem Alter entspricht.

    Wenn für etwas (egal ob die Darstellung an sich oder ein Ausrüstungsgegenstand) kein oder sehr spekulative Belege vorhanden sind und verschiedene Interpretationsschleifen mit Kompromisse eingegangen wurden, um Plausibilität zu erzeugen oder wilde Annahmen über die Art und Weise der Herstellung getroffen wurden und im Hinterkopf vielleicht sogar ein: Das merkt doch keiner, mitschwingt, spätestens dann lasse ich davon ab – manchmal schweren Herzens.

    Anders liegt es in den Fällen, in denen es keine regionalen Funde gibt, aber es reihenweise andere. Ein Beispiel: In Nürnberg gibt es keine Löffelfunde, aber dafür in vielen anderen Fundkomplexen. Bad Windsheim, Würzburg, Freiburg, Freiberg, London. Werte ich die Löffel aus. Erkennte ich, dass viele der gefundenen Löffel zeitliche und regionale Gemeinsamkeiten zum Beispiel runde Laffe ohne Verdickung am Rand und kurzer Stil. In diesem Fall wähle ich für Nürnberg einen Löffel, der der Formsprache der anderen Regionen entspricht. Dann verwende ich entweder direkt ein Löffel aus einem anderen Fund bzw. eine idealtypische Rekonstruktion.

    Also: wenn ich einen regionalen Fund habe, dann darf die Replik in den Haushalt und hat vorrang vor Allem, was von weiter weg herkommt.


  • Danke für diesen sehr wichtigen Hinweis. Vielleicht noch etwas zur Ergänzung- so gut wie alle Einsteiger machen das was sie auf ihren ersten Berührungspunkten mit "dem Mittelalter" sehen nach. Das sind idR die so genannten "Mittelaltermärkte" und was dort zu sehen ist wissen wir.

    Vielen reicht das aus, für diejenigen, die tiefer ins Hobby einsteigen, es besser als die Masse machen wollen, steht oft das Problem mit dem "was soll es sein".

    Hier zuerst einmal eine auf- und ausbaufähige Basis schaffen sollte das Hauptaugenmerk sein.

    Zeit, Volk, Stand, Region in absteigender Folge. Gerade an "Region" scheitert es sehr oft, das ist zumindest meine Erfahrung in meiner mittelhessischen Region. Nur zu oft bekomme ich, selbst wenn ich Fundort, Publikation und manchmal sogar die Inventarnummer nennen kann, "nur für Forschung und Lehre zugänglich" zu hören.

    Sehr oft schwingt ein ablehnder Unterton der Museumsverantwortlichen durch wenn ich sage was ich mache und warum ich die Fundstücke gern in Augenschein nehmen möchte.

    So bleibt dann oft nur der Weg regionale Ware nach Fundzeichnung zu replizieren.

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