Lederflasche / Winchester Costrel
Material: Rindsleder
Größe: 21 x 12 x 6 cm
Volumen: rund 400 ml
Datierung: 10. Jahrhundert
Fundort: Winchester
Anspruch: fundnah / belegorientiert
Funde von Wikingerzeitlichen Gefäßen aus Leder sind sehr selten, und mir ist nur ein einziges erhaltenes Exemplar einer Lederflasche aus der Wikingerzeit bekannt. Dabei handelt es sich um die sogenannte ‘Cloonclose Flacket’ aus Irland, die auf das 6. - 12. Jahrhundert datiert wird.
Trotz der sehr überschaubaren Fundlage waren sie ganz offensichtlich dennoch gut bekannt und wurden auch im Alltag verwendet.
Der Nachweis dafür findet sich im Altnordischen selbst mit der Vokabel 'leðrflaska' - einem eigenen Begriff für Lederflaschen.
Hieraus lassen sich bereits zwei Aspekte ableiten:
Zum einen muss es sich um einen so alltäglichen und verbreiteten Gegenstand gehandelt haben, dass dafür eine separate Vokabel erforderlich war.
Zusätzlich müssen ebenfalls noch Flaschen aus anderen Materialien existiert haben, da sonst der Zusatz ‘leðr’ nicht notwendig gewesen wäre.
Auch in den Island-Sagas wird ihre Nutzung bestätigt, beispielsweise in Kapitel 11 der Grettis-Saga: ‘Þorgeirr gekk fyrst; hann hafði á baki sér leðrflosku ok í drykk; [...]'.
Bei der Recherche nach weiteren Exemplaren bin ich auf die ‘Winchester Costrel’ aus der gleichnamigen Ortschaft in England gestoßen, datiert auf das 10. Jahrhundert, und somit innerhalb der Anglo-Skandinavischen Periode.
Die Flasche selbst ist aus Keramik gefertigt und nahezu vollständig erhalten. An dieser Stelle herzlichen Dank an Matt Bunker für die Bilder des Originals.
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Keramik? Was hat denn eine Keramik-Flasche mit unseren gesuchten Lederflaschen zu tun?
Nun, das besondere an der Winchester Costrel ist der Umstand, dass sie eine Lederflasche imitiert.
Es schaut aus, als wäre sie aus einer Vorder- und einer Rückseite gefertigt, die beide ringsum miteinander vernäht sind. Man erkennt deutlich die seitlichen Nahtzugaben, wie sie für Lederflaschen typisch sind. Selbst Nähte und Nahtlöcher sind imitiert sowie Öffnungen für einen Tragegurt.
Nun - jedes Imitat basiert auf einem Original. So auch hier. Die Keramikflasche aus Winchester zeigt uns eindeutig die Nachbildung einer - vermutlich identisch konstruierten - Lederflasche.
Und so habe ich dieses Mal nicht den Fund selbst rekonstruiert, sondern dessen mutmaßliche Vorlage.
Hierzu habe ich die äußere Form auf vegetabil gegerbtes Rindsleder aufgezeichnet, ausgeschnitten und mit gewachstem Leinengarn per Sattlerstich miteinander vernäht.
Als nächstes habe ich das Leder gewässert und dadurch geschmeidig gemacht. Für die bauchige Form habe ich nach und nach Aquarienkies eingefüllt und mit einem Holzstab fest verdichtet.
Anschließend musste die Flasche zwei Tage lang trocknen, bevor ich den Kies wieder entfernt habe.
Das Leder war nun bereits ziemlich hart geworden.
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Im nächsten Schritt muss das Leder von innen noch wasserdicht werden. Hierzu wird Bienenwachs geschmolzen und parallel dazu die Flasche auf ca. 50 - 60° C vorgewärmt. Das flüssige Wachs wird nun eingefüllt und im Inneren gut geschwenkt, damit alle Flächen und Nahtverbindungen benetzt werden können. Das restliche Wachs wird wieder ausgegossen und dazu genutzt, auch die Außenseite der Flasche zu versiegeln. Nach dem Auskühlen wird außen das überflüssige Wachs vorsichtig entfernt und das Leder poliert.
Der originale Verschluss ist leider nicht erhalten.
Allerdings gibt es in Haithabu über 30 Exemplare passender Stopfen aus Holz, die einem ähnlichen Zweck gedient haben dürften.
Einen davon habe ich aus Eschenholz rekonstruiert und in die Flasche eingepasst.
Ein Lederstreifen dient als Trageriemen.
Ich habe ihn so durch Verschlussstopfen und die beiden seitlichen Löcher geführt, dass der Stopfen beim Tragen automatisch fest in die Öffnung gedrückt wird und die Flasche beim Transport somit sicher verschließt.
Ob diese Methode authentisch ist? Keine Ahnung, erschien mir aber sinnvoll und praktisch.
Und nun - Prosit 😊
Zeitaufwand: zwei lange Abende